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Wie ich zu meinem Ich fand

Ilona hat immer gern und viel gearbeitet. Die Umstrukturierung ihres Betriebs hat ihr viel abverlangt. Eines Tages kam dann der Zusammenbruch und nichts ging mehr. Erst langsam konnte Ilona von ihrem früheren Leben, das sie so krank gemacht hatte, Abschied nehmen. Sie suchte Abstand auf dem Land und fand mithilfe der Natur zu ihrer inneren Stärke. Lesen Sie hier Ilonas Geschichte:

Ich bin mit dem Grundsatz aufgewachsen, zuerst kommen alle anderen und dann erst ich. Und: Man ist nur dann gut, wenn man auch Gutes leistet. Ich habe immer viel und gern gearbeitet. Trotzdem gab es das Wort „Stress“ nicht. Mein Mann und ich waren im Herbst 1989 freiberufliche Künstler. Mit der Wende veränderte sich unser Leben aber gravierend. Auch für uns, die wir gewohnt waren, flexibel zu arbeiten. Wir mussten neue Wege suchen, unsere Kinder waren klein und wir waren in Sorge um unsere Familie.

Ich suchte mir auf vielen Umwegen eine Stelle im Theater. Als ich vierzig wurde, gelang mir das Engagement in einem großen Haus. Ich arbeitete kreativ, engagiert und intensiv und kehrte sehr schnell zu meinem gewohnten Selbstbewusstsein zurück. Ich erarbeitete mir in diesem Haus einen Stand, der mich befähigte, wichtige Leitungspositionen einzunehmen. Diese Jahre waren sehr herausfordernd und interessant für mich.

„Mein Alltag entwickelte sich zu einem Albtraum,
der mich nachts nicht schlafen ließ.“

Dann wurde in allen Theatern das Geld knapp, eine radikale Umstrukturierung war die Folge. Auch in meiner Firma brachten die neuen Strukturen große Veränderungen, zu großen Teilen musste ich diese dann umsetzen und verantworten. Die Mitarbeiter waren unzufrieden und reagierten auf alle Entscheidungen mit Unverständnis und Abwehr. Ich kam in einen Konflikt, den ich so bis dahin nicht kannte. Ich stand meinen Mitarbeitern quasi als die personifizierte Umstrukturierung gegenüber.

Innerhalb der widersprüchlichen und nicht erprobten Strukturen entwickelten sich meine Arbeitstage zu einem Alptraum. Ich war in eine Tretmühle gekommen, aus der ich keinen Ausweg kannte. Wohlmeinende Kollegen waren der Ansicht, dass ich das schon schaffen würde, andere gaben mir die Verantwortung für das Chaos. Wenn ich morgens zur Arbeit kam, wusste ich manchmal nicht, ob ich geträumt hatte oder ob das alles wahr war. Ich schlief schlecht und träumte von chaotischen, bedrückenden Zuständen. So ging das über Wochen und Monate. Das war eine große andauernde Belastungssituation für mich.

„Ich musste mein altes Leben loslassen,
um nach Neuem zu greifen.“

Dann, eines Morgens, spürte ich, dass etwas in mir zerriss. Ich erinnere mich, dass ich nicht mehr schreiben oder den Stift halten konnte. Ich war vollkommen mit den Nerven runter und habe nur noch geheult. Ein Vorgesetzter sah mich und sagte nur, ich solle sofort zum Arzt gehen. Der Arzt schickte mich dann zur Kur. Ich dachte, das sei die Lösung. Sechs Wochen raus.

Aber dann, in der Kur, ging es mir noch schlechter, ich konnte gar nicht aufhören zu weinen. Die Reflexion über die erlittene Niederlage und die Aussicht auf ähnlichen Stress wie vorher machten mir klar, dass ich nicht zurückwollte und auch nicht zurück konnte. Ich war richtig krank. Ich musste mich von meinem alten Leben verabschieden und lernte zu akzeptieren, dass ich mich und mein Leben künftig anders definieren musste. Das wurde ein langer und intensiver Prozess des Abschiednehmens. Ich musste lernen loszulassen, um nach Neuem zu greifen.

„Ich spürte, wie der Stress sich löste.“

Ich beschloss, gut zu mir zu sein und mich selbst anzuerkennen, auch wenn ich anders arbeiten und leben würde. Auch wenn ich mich – scheinbar egoistisch – vor allem um mich selbst kümmerte, lernte ich, mich als wertvoll zu empfinden. Von meinen alten Grundsätzen nahm ich auch endlich Abschied.

An den Wochenenden spürte ich, dass sich eine Perspektive für mein Leben andeutete. Wir hatten seit vielen Jahren ein kleines Bauernhaus auf dem Land. Dorthin fuhr ich ab jetzt sehr regelmäßig und auch für längere Zeit. Wenn ich den Garten betrat, atmete ich auf. Hier spürte ich, wie ich zur Ruhe kam und wie sich der Stress auflöste. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und wagte den großen Schritt raus aus dem alten Leben. Meinem Mann fiel der Abschied von Berlin anfangs schwer. Mit einer Verzögerung von zwei Jahren folgte er mir aber. Wir zogen auf´s Land. Hier merkte ich nach und nach, dass ich wieder zu mir zurückfand.

„Ich bin wieder bei mir angekommen
und fühle mich innerlich stark.“

Ich höre das Vogelzwitschern, spaziere mit unserem Hund durch die Landschaft und lebe intensiv mit den Jahreszeiten. Ich bin wieder bei mir angekommen und auch wieder bei den anderen. Das Alleinsein, ohne einsam zu sein, das habe ich in der Natur und mit der Natur wieder gelernt. Eigentlich ist das wie eine Rückkehr nach einer sehr langen Reise. Alles ist vertraut und trotzdem wie neu. Ich fühle mich innerlich wieder stark.

Ich habe keine Sehnsucht nach meinem alten Leben oder nach der Stadt. Ich fahre gern in die Stadt. Unsere Kinder leben dort. Aber Sehnsucht? Nein, die habe ich nicht. Ich bin dankbar für alles, was ich erlebt habe, aber jetzt ist es auch gut. Anders, aber gut.

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